Liebe Freundinnen und Freunde, Mitgefangene in einer entfesselten Zeit!
Wer kennt nicht das berühmte Wort von Shakespeare: „Die Zeit ist aus den Fugen!“, und wer erinnert sich nicht an die Angstphantasien der apokalyptischen Literatur, da sich die Sonne schwarz, der Mond blutrot färbt, das Himmelszelt zusammenbricht und die Sterne auf die Erde fallen? Auch wir wissen noch nicht, was genau auf uns zukommt und wie lange es andauert. Ein monströses, aber unsichtbares Unheil rollt auf uns zu und es bedarf großer Anstrengungen, ihm standzuhalten und die aggressiven Energien zu bändigen, zu denen homeoffice und homeschooling, Gaststätten- und Fußballverbote führen werden und die das Angstpersonal der Schwächeren bis ins Maßlose steigern. In meinem ersten Text habe ich an die innere Gewissheit und unzerstörbare Lebenshoffnung appelliert, die in uns stecken. War das nicht zu vollmundig und naiv? Schon dort wollte ich nicht aus-schließen, dass manche von uns – aus Versagens-, Existenz- oder Todesangst – die nackte Verzweiflung überfällt. Ich muss zugeben, auch Gewissheit und Hoffnung fallen nicht von Himmel, denn sie setzen immer schon gute Lebenserfahrungen, glückliche Lebens-entscheidungen und eine entsprechende Lebenspraxis voraus. Deshalb möchte ich hier über den Lebensraum nachdenken, in dem wir uns, krisengeschüttelt oder nicht, immer schon bewegen.
Alles hat seine Zeit
Nicht erst seit vier Wochen leben wir ja in einem irritierenden Paradox. Einerseits gehört dieser Lebensraum ganz uns und wir können ihn nach unserem Belieben gestalten. Auf den ersten Blick gehört er uns ganz persönlich und es liegt an mir, was ich daraus mache. Diese Überzeugung gehört zu einem modernen und fortschrittlichen Denken. Anderer-seits konfrontiert er uns schon immer mit ehernen Bedingungen, über die wir eben nicht verfügen können. Genau besehen gibt es da nichts, das wir nicht mit anderen teilen oder von anderen mitgestalten lassen.
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