Unter dem Brennglas der Pandemie

Die Corona-Pandemie und die mit ihr verbundenen Einschränkungen fokussieren wie ein Brennglas dem und der Einzelnen wie den Gesellschaften die kritischen Punkte, die Neuorientierungen einfordern. „Die Hüften gegürtet, den Stab in der Hand“ (Ex 12,11) nenne ich ohne große Revision meine ganz persönlichen Punkte.

AufbruchsGedanken von Raimund Fischer

Die Pandemie hat mir persönlich den Wert konkreter Beziehungen bewusst gemacht, vor allem in meiner Familie, aber auch zu meinen Kollegen*innen. Ich habe bereits begonnen, meine Kontakte bewusster zu pflegen, mich auch einfach mal so zu melden – frei nach der benediktinischen Regel „Die Brüder sprechen sich oft, aber kurz“. Zu diesem Beginnen gehört, dass ich das jetzt – zum Beispiel hier – festhalte, mir aufschreibe als Erinnerung.

Intensivere Kontakte

Merkwürdig: Gerade in der Zeit der Kontaktbeschränkung wird mir der Wert der Gastfreundschaft überdeutlich, wohingegen die Neugier auf die vielen Kontakte schwindet. Oft fühlte ich mich wie der Klassenclown, der quer zu allen Qualitätssicherungen Fantasie und Kreativität lehrte. Natürlich habe ich mich gefreut, dass mich einige Menschen darauf angesprochen und mich gelobt haben. Mehr noch habe ich mich gefreut, dass einige Schülerinnen und Schüler sich auf ihre ureigenen Qualitäten besonnen und fantasievoll gearbeitet haben, statt sich unter der Bettdecke zu verkriechen. 

Frohe Botschaft ansteckend

Zu den Kreisen, die mein Leben zog und zieht, gehören konkrete kirchliche Kreise, dazu der Austausch mit religiös bzw. philosophisch wachen Menschen. Die Wagenburg-Mentalität der Korrekt-Gläubigen und Ritual-Fetischisten wird mir zunehmend beängstigend und belastend, ich suche die verbindliche Fröhlichkeit, den klugen und zugleich ansteckenden Glauben, der frische Luft verträgt und braucht.

Sorry für den Bezug zum Virus, aber der ansteckende Glaube ist für mich das Gegenmittel gegen die Lemminge- oder Laborratten-Mentalität eines Mainstreams, der ein gefundenes Fressen für pandemische Viren ist. Der Missbrauchs-Skandal hat dieser Tendenz meines Lebens eine unumkehrbare Entschiedenheit verliehen. Werde ich mein Verhalten in den sozialen Netzwerken ändern? Da bin ich zwiespältig: Einerseits habe ich tolle Erlebnisse gehabt, meist auf Vermittlung der analogen Welt, sei es durch den ND, sei es durch einen Artikel in der FAZ, sei es durch analoge Bekannte in den sozialen Netzwerken. 

Kreative Lösungen versus Ökonomisierung

Beruflich hat mich das Internet – wie so viele Lehrer – überfordert, aber die Lösungen, die ich mit Kollegen, Schülern und Eltern gefunden habe, haben uns jeweils einander nähergebracht. Da bin ich gespannt auf die Normalität nach der Pandemie!

Politisch hoffe ich, dass die Zeit der Macher (seit Mitte der Neunziger) überwunden ist – die Zeit der Quantifizierung, der Ökonomisierung von Infrastrukturen, Verwaltung, Gesundheits- und Bildungswesen und der Fixierung auf eine unbefragbare „Qualität“, die die dahinterliegenden persönlichen wie Klientel-Interessen tendenziell verschleierte. 

Mehr denn je brauchen wir kreative Lösungen, das sollte uns die Pandemie vor Augen führen. Das – typisch deutsche?! – Herumnörgeln an neuen Ideen und der dazu gehörende Sicherheitswahn hingegen findet vielleicht eine Spielecke in einem Bereich rechts vom Rednerpult unseres Bundestags – mit einem lustigen kleinen Zäunchen, Kisten mit Legosteinen und Alufolien-Rollen zum Hütchen-Bauen. Lieber wäre mir, dass ernstzunehmende Ideen der AfDler auch in ebensolche Reden verpackt werden. 

Ende der Wachstumsideologie

Ich wünsche mir ein neues, globales Konzept von beschränktem Wachstum, dass die Theorie des unbeschränkten Wachstums komplett und unwiderruflich ersetzt. Unbeschränktes Wachstum ist in der Mathematik ein Fachbegriff, der sehr konkrete Eigenschaften klar beschreibt. Das ist nur noch nicht rezipiert und umgesetzt in ökonomische und politische Theorien, genauso wenig wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Diskussion um den Klimawandel. Das allerdings wäre ein Aufbruch, dessen konkrete Umrisse und politischen Erdrutsche ich wohl nicht mehr erleben würde.

Letzten Endes bin ich mir auch nicht sicher, ob wir durch eine demokratische Neuorientierung unsere gesellschaftlichen Probleme endgültig in den Griff bekommen. Henry Mencken (1880-1956) schrieb am 26. Juli 1920, also vor 100 Jahren, in der „Baltimore Evening Sun“: „Wenn die Demokratie sich fortlaufend perfektioniert, widerspiegelt die Präsidentschaft immer exakter die innere Seele des Volkes: Eines großen und glorreichen Tages wird sich der Herzenswunsch der einfachen Leute erfüllen und das Weiße Haus mit einem wahren Idioten und narzisstischen Irren besetzt sein.“ Meine Konsequenz: Dies wird nicht der letzte, aber ein besonderer Aufbruch werden.

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