der Offene Brief katholischer Verbände und Reformgruppen an die Teilnehmenden der 3. Synodalversammlung vom 3. bis 5. Februar 2022 in Frankfurt im Wortlaut. Der ND ist Mitunterzeichner.
Mit großem persönlichem Einsatz und mit hoher moralischer, theologischer und pastoraler Verantwortung sind entscheidende Texte erarbeitet worden. Dafür sprechen wir als Reformgruppen und Verbände unseren Dank aus. Jetzt erwarten wir von den Teilnehmenden der 3. Synodalversammlung, diese wegweisenden Vorlagen mit eindeutigen Mehrheiten zu beschließen, sodass sie auch vom Vatikan wahrgenommen und akzeptiert werden.
Die 2. Vollversammlung stand unter dem Eindruck der überraschenden Entscheidung des Vatikans bezüglich des Kölner Erzbistums und seiner Verantwortlichen; dennoch hat die 2. Vollversammlung gute Arbeit geleistet. Die 3. Vollversammlung findet während des kirchlichen Bebens statt, das die Kampagne #OutInChurch und vor allem die Veröffentlichung des zweiten Münchner Missbrauchsgutachtens am 20. Januar 2022 ausgelöst haben. Mit seiner Stellungnahme zu diesem Gutachten, seiner Korrektur einer offensichtlichen Falschaussage und der Ablehnung persönlicher Verantwortung hat Joseph Ratzinger, Münchner Erzbischof 1977 bis 1982, seinen Ruf als „Mitarbeiter der Wahrheit“ zerstört und dem Amt schweren Schaden zugefügt.
Durch die vielfachen und weltweiten Missbrauchsfälle, ihre Vertuschung und die Missachtung des Leids der Betroffenen steht die institutionelle römisch‐katholische Kirche vor einem moralischen Bankrott und Scherbenhaufen. Wenn die zu erwartende nächste Austrittswelle noch aufgehalten werden soll, aber auch für die Katholik*innen, die bewusst in der Kirche bleiben wollen, darf der Synodale Weg nicht ins Leere laufen, wie etwa der „Dialog‐ bzw. Gesprächsprozess“ 2011 bis 2015 und viele andere Reformprozesse. Sie als Synodale der 3. Vollversammlung sollten sich Ihrer großen Verantwortung, aber auch der großen Visionen bewusst werden, die es in dieser Situation braucht.
Es ist höchste Zeit für eine grundlegende Neuorientierung auf allen Ebenen, wie sie auch Papst Franziskus mit dem Pfingsten 2021 eröffneten weltweiten Synodalen Prozess zum Ziel hat. Dabei ist immer wieder in Erinnerung zu rufen: Auslöser für den Synodalen Weg in Deutschland waren die systemischen Ursachen sexualisierter Gewalt, die die 2018 veröffentlichte MHG‐Studie benannt hat: Machtmissbrauch, Pflichtzölibat, überkommene Sexualmoral und Missachtung der Frauen! Erst diese Faktoren begünstigten die sexualisierte und spirituelle Gewalt und deren Vertuschung. Nur wirklich überzeugende Schritte zur Aufarbeitung dieser Verbrechen in unserer Kirche machen den Weg für eine neue „Evangelisierung“ und eine strukturelle Reform möglich.
In dieser dramatischen Situation kann und muss die 3. Vollversammlung des Synodalen Weges die Wende bringen, konkret und jetzt! Auch international sind die Hoffnungen und Erwartungen bezüglich des Synodalen Weges in Deutschland groß.
- Wir appellieren an den Vatikan, endlich ein deutliches und eindeutiges Zeichen der Würdigung des Synodalen Weges zu geben, der kein deutscher Sonderweg ist, sondern ein konstruktiver Dienst an der Weltkirche.
- Die Bischöfe und Weihbischöfe fordern wir auf, sich jetzt verlässlich zu den einzelnen Beschlussvorlagen zu positionieren. Solange es kirchenrechtlich keine Gewaltenteilung und keine wirksamen Kontrolle von Macht gibt, ist eine Selbstbindung der Bischöfe erforderlich.
- Kirchenrechtlich schon jetzt mögliche Handlungsoptionen müssen unverzüglich schon jetzt in den einzelnen Diözesen angegangen und in „Sofortprogrammen“ umgesetzt werden.
- Vor allem die Gemeinden, die derzeit auch wegen des Pflichtzölibats und des Ausschlusses der Frauen und anderer (FINT*)Personen von Weiheämtern massiv am Ausbluten sind, warten dringend auf konkrete Reformen.
- Neben den theologisch fundierten Ausarbeitungen des Synodalen Weges für langfristige Änderungen, ist gleichzeitig eine breite Informationskampagne über den Fortgang des Synodalen Weges für die Katholik*innen und Gemeinden in Deutschland erforderlich.
- · Dringend notwendig sind internationale Vernetzung und fremdsprachige Informationen über den Synodalen Weg in Deutschland, um den Störmanövern aus dem Ausland entgegenzutreten.
- · Bei allem muss vor allem und zu allererst auf die Überlebenden sexualisierter und geistlicher Gewalt geschaut werden. Für sie sind das Bekennen persönlicher Schuld und die persönliche Verantwortungsübernahme kirchlicher Amtsträger, selbst wenn diese nach dem Buchstaben des Kirchenrechts korrekt gehandelt haben sollten, von hoher Bedeutung.
- Für immer mehr Katholik*innen in ganz Deutschland ist es nicht vorstellbar, dass Kardinal Woelki trotz seiner Verfehlungen seine Amtsgeschäfte am Aschermittwoch wieder aufnimmt. Hier sollte der Vatikan seine fragwürdige Entscheidung vom Herbst 2021 revidieren.
- Uns allen aber muss klar werden: Langfristig und nachhaltig kommen wir nur voran, wenn unser Bemühen um Erneuerung von umfassenderen christlichen, ökumenischen, vielleicht interreligiösen Visionen getragen sind. Keine Kirche kann Selbstzweck sein.
Seien Sie mutig, jetzt! Sorgen Sie dafür, dass wenigstens die jetzt besprochenen Minimalziele erreicht werden. Das Kirchenvolk will endlich erste Reform‐Taten sehen, keine vertröstenden Ankündigungen mehr hören. Stellen Sie die Weichen für eine Kirche, die bei den Menschen ist – damit wir als Nachfolgegemeinschaft Jesu auch in Zukunft glaubwürdig und freudig Zeugnis geben können von der visionären Kraft der christlichen Botschaft!
Die Synodalversammlung tagt gewöhnlich in Frankfurt. Die Illustration zeigt den Hauptbahnhof mit einer verblüssenden Ähnlichkeit zu einem Kirchenfenster in einer rheinischen Großstadt