Dresden: Zukunftskongress 2018 im Schmelztiegel unterschiedlicher Erinnerungen

ERINNERUNG MACHT ZUKUNFT Der Titel des kommenden ND-Kongresses ist eine Einladung an Kreative: Je für sich genommen, sind die Wörter des Titels klar abgrenzbar, setzt man sie in Beziehung zueinander, findet man sich unversehens in einem komplexen Geflecht wieder. Einige Beispiele zur Anregung:

  • Erinnerung macht Zukunft
  • Die Macht über die Erinnerung prägt die Zukunft
  • Kann man Zukunft aus Erinnerung „machen“?
  • Wer hat Macht über die Erinnerung und die zukunftsprägenden Bilder?

Dresden, im Juni 2017. Erste Sitzung der Programmkommission. Mein Weg vom Hauptbahnhof zum Kathedralforum führt entlang am Kulturpalast, einem Quader aus Beton und Glas aus dem Jahr 1969. Die Gestaltung der Außenfassade ist bemerkenswert: Den eher schlichten Baukörper schmückt an der Westseite ein 30 mal 10 Meter großes Wandbild mit dem für die DDR typischen Titel Der Weg der roten Fahne. Laut Wikipedia handelt es sich um ein Kunstwerk aus Farbglas auf Betonplatten, die elektrostatisch beschichtet wurden.

Ich kannte dieses Wandbild von früheren Aufenthalten in Dresden her, beim Vorübergehen machte ich spontan ein Bild, denn sofort war mir klar, dass die Darstellung eng mit dem Kongressthema zusammenhängt: Der real existierende Sozialismus ist Geschichte – verschwunden ist er damit aber noch lange nicht! Die auf dem Bild dargestellte revolutionäre Kraft ist äußerlich erloschen wie die Träume vieler Menschen, nach 1949 in der DDR ein besseres Deutschland aufzubauen. Die Zukunft in der DDR hingegen war von Staats wegen klar definiert. „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“ – das galt nicht erst, seit Erich Honecker 1989 diese Devise zum geflügelten Wort erhob. Kurz danach trat das für die Staatsdoktrin Undenkbare ein: Die DDR zerbrach und mit ihr auch die von der SED ausgeübte Deutungsmacht über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die DDR ist nun Geschichte, sie wirkt aber, nicht nur in Relikten alter Herrlichkeit, fort, keineswegs einfach abgehakt, entsorgt, vergessen.

Und heute? Das Wandbild ist immer noch zu sehen, anders als thematisch ähnliche Werke an anderen Orten, die abgerissen oder zugehängt wurden. Die Erinnerung an die Zeit der deutschen Teilung, an die Turbulenzen der Wiedervereinigung schmerzen heute immer noch einen nicht unbeträchtlichen Teil der Menschen, auch diejenigen, die das Ende der DDR freudig begrüßt haben. Man kann PEGIDA zu einem Teil mit diesen noch unbewältigten
Erfahrungen erklären. Fassungslos steht der Rest der Republik den Demonstrationen gegenüber, eine saubere Analyse indes lässt auf sich warten.

Dabei reicht ein Blick in die eigene Biografie um zu bemerken, das Vergangenes nachwirkt und sich an Stellen Bahn brechen kann, an denen man am wenigsten damit rechnet. Was Psychologen auf der Ebene des Individuums in diesem Zusammenhang festgestellt haben, gilt ebenso für das kollektive Gedächtnis von Gesellschaften – auch und besonders für die westdeutsche, die sich medial gerne immer mal wieder über die vermeintliche Undankbarkeit der Ostdeutschen mokiert. Man könnte es besser wissen (und machen), erinnerte man sich zum Beispiel an die zu Unrecht oftmals belächelten Einsichten der Eheleute Alexander und Margarete Mitscherlich in ihrem Buch Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens (München: R. Piper & Co. 1967). Geschichte wirkt fort im bewussten Erinnern, aber mindestens ebenso mächtig in dem, was wir unbewusst in uns tragen und an unsere Nachkommen weitergeben.

Dresden. Warum ausgerechnet Dresden? Die angesichts der geografischen Randlage im wiedervereinten Deutschland durchaus berechtigte Frage beantwortet sich aus dem oben Dargelegten schnell: Erinnerungsorte gibt es viele in der Bundesrepublik, aber es gibt wohl keinen weiteren Ort, der so intensiv Geschichte atmet: Historische Verbindungen zu Polen und nach Böhmen im Dreiländerdreieck, als Elbflorenz bzw. Florenz des Nordens weltberühmt, Ort unzähliger berühmter Museen; bis heute traumatisiert durch den schrecklichen Luftangriff in den letzten Kriegswochen 1945. In der DDR durchaus wegen der reichen Geschichte und seines Flairs beneidet (Ein sächsischer Bekannter Mitte der 80er Jahre: „In Karl-Marx-Stadt wird gearbeitet, in Leipzig Geld verdient, in Dresden wird gelebt.“), dann aber auch wegen des schlechten Empfangs von Westmedien als „Tal der Ahnungslosen“ verspottet. Heute Touristenmetropole, Wirtschaftszentrum, Universitäts- und Landeshauptstadt.

Dresden – genau in diesem Schmelztiegel unterschiedlichster Erinnerungen, Um- und Aufbrüche soll der nächste ND-Kongress stattfinden. Unser Verband ist zwar in Sachsen wenig bekannt, wir haben jedoch einmal mehr gelernt, dass die Diaspora auch Vorteile hat! Die Christen beider Konfessionen vor Ort sind gut untereinander vernetzt und freuen sich auf uns: Dr. Peter-Paul Straube, Leiter des Bischof-Benno-Hauses in Schmochtitz, dem über Sachen hinaus bekannten Bildungshaus des Bistums Dresden-Meißen, Dr. Thomas Arnold, Direktor der katholischen Akademie des Bistums, Dr. Joachim Klose, Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sachsen, und Frank Richter, Geschäftsführer der Stiftung Frauenkirche Dresden, sind an erster Stelle zu nennen.

Kooperationen mit Institutionen vor Ort sind für den Kongress nicht ungewöhnlich, neu ist im kommenden Jahr die Intensität und das Ausmaß. Unser Kongressthema trifft, da sind sich die Genannten sehr sicher, den Nerv einer aufgewühlten Stadt und ihrer Bürger in ihrem nicht immer leichten Bemühen, sich über die fernere und nähere Vergangenheit offen auszutauschen, um die Gegenwart und vor allem Zukunft des Miteinanders gestalten zu können.

Einen besonderen Kooperationspartner haben wir dem St.-Benno-Gymnasium gefunden: Am Rande der Altstadt gelegen, bietet das architektonisch interessante wie ansprechende Gebäude einen idealen Tagungsort für die Hauptveranstaltungen. Auch hier ist man inhaltlich an unserem Vorhaben interessiert und wir sind optimistisch, dass trotz der sächsischen Osterferien Teile der Schulgemeinschaft am Kongress teilnehmen werden. Dank des kompakten Schulgebäudes wird es ein Kongress der kurzen Wege, denn es bietet auch Platz für das KSJ-Café.

Der Fünf-Uhr-Tee oder -Kaffee wird auf dem Kongress 2018 der Vergangenheit angehören! Es bleibt selbstverständlich bei dem seit Jahren Bewährten: Gottesdienste, Begegnungsmöglichkeiten, Plenumsveranstaltungen mit hochkarätigen Referenten, kleinere Formate zum Nachdenken und Diskutieren; Chor, Orchester, thematische wie touristische Exkursionen, Jugendprogramm. Neu ist das Zeitschema: Um die Stadtöffentlichkeit zu gewinnen sollen die Plenumsvorträge ab dem späteren Nachmittag stattfinden und nicht mehr, wie sonst eher üblich, am Vormittag. Wir nennen das nach fünf…after-work-
Veranstaltungen.

Dresden als Erinnerungsort wird während des gesamten Kongresses als thematische Basis und roter Faden präsent sein: Der Kongress findet in und mit Dresden statt. Im Zentrum die Frauenkirche, das nach langen Jahren wiedererrichtete Herz der Stadt. Wir werden es mit ihr intensiv zu tun haben: Wer mag, kann sich in die Touristenströme einreihen und sie besichtigen. Wir wollen die Frauenkirche aber auch in ihrer ursprünglichen Bestimmung wahrnehmen und zusammen mit KSG und ESG eben dort eine Abendandacht halten. Beide Studentengemeinden treffen sich regelmäßig in der Frauenkirche und wir reihen uns ein. Es dürfte in Dresden keinen symbolträchtigeren Ort geben, um sich den Fragen von Erinnerung, Macht, Identität und Zukunft zu stellen und diese bewusst vor Gott zu bringen.

Klaus Neumann,

Mitglied in der Programmkommission

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